Kitzingen
Pulsierendes Nachtleben mitten in Kitzingen.
Heutzutage ein Widerspruch.
Doch wo am Wochenende gähnende Leere auf den Straßen der Altstadt herrscht, ging es vor 30 Jahren rund.
Mit Rainer Krieglstein, auch bekannt als DJ Steppenwolf,
begeben wir uns auf eine Reise in die Vergangenheit.
Wir schreiben das Jahr 1969. Die Flower-Power-Zeit befindet sich in den letzten Zügen, als die "Charly-Bar" in der Schweizergasse ihre Türen öffnet. Dort, im heutigen Schuhgeschäft Hassolt, findet sich aus der "großen Stadt" München ein absoluter Neuling ein: Der erste DJ. "Bisher hatten in solchen Lokalen unscheinbare Leute kommentarlos Platten aufgelegt - jetzt wurde jedes Lied angesagt, die Gäste wurden begrüßt und animiert, plötzlich kommt Leben in die Bude", meint DJ Steppenwolf alias Rainer Krieglstein.
Doch das Wochenende ist in den Anfangstagen der Blüte des Kitzinger Nachtlebens noch nicht die auserwählte Fütterungszeit der Party-Tiger: Jeden Sonntag geht es ab 14 Uhr los, die Bude platzt aus allen Nähten. "Das Jugendamt hatte schon damals ein Auge auf die jungen Leute, die meinten, am Wochenende die Nacht zum Tage machen zu müssen", so Krieglstein. Der Erfolg der "Charly-Bar" hält auch noch an, als sie in "Kaminstube" umbenannt wird und sich die Ausgehgewohnheiten mehr auf den Freitag- und Samstagabend konzentrieren.
Überhaupt geht es in dieser Zeit etwas früher "auf die Fitz": Bereits zur Mittagszeit ist das "Hole in the wall" in der Herrnstraße, wo bis vor kurzem die Firma Hoffritz ansässig war, voll mit feierfreudigen Gästen. Dort stehen auch der erste Flipper und eine kleine Kegelbahn, dort befindet sich der erste Kondom-Automat in Kitzingen. Der Chef des Ladens ist schnell berühmt-berüchtig für seine Angewohnheit, unter seiner Schürze nur das Adams-Kostüm zu tragen.
Von Anfang an ist das Kitzinger Nachtleben von Amerikanern geprägt. Am Wochenende stehen in den Kasernen rund 20 Taxen bereit, die im Akkord ihre Gäste in die Kitzinger Innenstadt befördern. So auch in den "Scotch Club" in der Ritterstraße, heute "Parkett & Mehr", der seinem Namen alle Ehre machte.
Mit den Amerikanern kommt allerdings auch der Rassenkonflikt in die Stadt. Am Drei-Länder-Eck in der Rosenstraße treffen in benachbarten Lokalen die Gegensätze aufeinander. Im "Ebony House" (heute Akropolis) - wegen seines günstigen Preises von zwei Dollar für eine Flasche Hochprozentigem auch "Gin House" genannt - treffen sich die Farbigen, die Weißen in der Florida-Bar (heute Schiefer Turm), die Neutralen in der "Franken-Klause" (heute ein Wohnhaus). "Wollte ein Farbiger in die Florida-Bar, fand er sich schnell im Schaufenster auf der anderen Straßenseite wieder", so Krieglstein. Raue Sitten herrschen damals in Kitzingen. Unvergessen die Schlacht zwischen Farbigen und Weißen im ehemaligen Wasserauffangbecken, wo heute der Taxistand steht.
An einem Samstag Abend spielt fast in jeder Kneipe, die einigermaßen Platz hatte,
eine Live-Band. Rund zehn Mal Live-Musik gibt's pro Abend zu hören. So in der
"Regina-Bar" in der Falter-Straße (heute Bierbrunnen), im Deutschen Haus oder auch im Schützenhaus und im Felsenkeller Hohenfeld. Bekannte Musiker und Gruppen, wie die
"Les Humphrey-Singers", finden ihren Weg nach Kitzingen.
"Die Leute gingen schon damals von Bar zu Bar", sagt Krieglstein mit Blick auf die so genannte "Bar-Hopperei". Eintritt wurde nirgendwo verlangt. Auch nicht in der
"Hafen-Bar" in der Luitpoldstraße (heute Kapadokya). Vielen Kitzingern ein Begriff: die legendäre "Hilly-Billy-Bar" in der Bismarckstraße (heute das Kitzinger Gesundheitsamt).
Die Bar wird bald zur In-Kneipe schlechthin. Bis 1973 spielt dort sieben Tage pro Woche eine Live-Band. Dann schlägt die Stunde von Rainer Krieglstein, der weit über die Grenzen Kitzingens hinaus als DJ Steppenwolf bekannt wird. "Dort hielten Vereine und Gruppen aller Art ihren Einzug, der Kasten Bier stand bereits auf dem Tisch", sagt
Krieglstein.
Bis Anfang der 80er Jahre herrscht in Kitzingen ein buntes Nachtleben. Dann verändern sich langsam die Geschmäcker. "Die ersten Videotheken, dann Computerspiele - die Leute verbringen ihre Freizeit anders", beschreibt Krieglstein die Entwicklung. Nach wie vor kann Kitzingen aber auf die Amerikaner zählen. Bis 1990. Der Golfkrieg zieht die
Amerikaner weg aus der Stadt und bringt auf einen Schlag ihr Nachtleben zu Fall.
Seitdem hat sich einiges geändert. Wehmütig erinnert sich der Steppenwolf an die Zeiten zurück, als in seinem Revier noch das Leben tobte. "Es war eine geile Zeit . . ." - wäre er ein echter Wolf, würde er jetzt heulen.
Kopie aus der
MainPost
Trauer um Orginal
R.I.P
Tiefe Trauer herrscht um eines der letzten Originale der Stadt Kitzingen: Rainer Krieglstein alias DJ Steppenwolf verstarb in der Nacht zum Samstag in seiner Wohnung.
Die eine Hand am Plattenteller, in der anderen das Mikrofon und die Zigarette – so kannten die Kitzinger ihren DJ Steppenwolf. Bis zu vier Mal legte der 63-Jährige zuletzt pro Woche auf, vor allem im Alten Keller. Sein Rezept für gute Musik: „Ich behalte die Tür im Auge und schaue, was für Leute hineinkommen.“
Seine Brötchen verdiente Kriegl-stein eigentlich als Vertreter. Zum Diskjockey wurde er zufällig. 1969 war in seiner Würzburger Stammkneipe die Stelle eines DJs freigeworden. „Der Boss fragte mich, ob ich nicht einmal hinter dem Plattenteller Platz nehmen wollte – zwei Jahre gab ich den Stuhl nicht mehr her“, so Krieglstein.
DJ Steppenwolf legte dann in Eibelstadt und Prichsenstadt auf, kam nach Schwandorf und Forchheim. Anfang der 1970er Jahre legte er in der legendären Hilly-Billy-Bar in Kitzingen auf. In Weiden wurde Krieglstein nach und nach Geschäftsführer von 18 Kneipen und Discos. Am Musikerpult stand er weiterhin – voller Leidenschaft.
In Kitzingen machte Krieglstein 1979 seine eigene Bar auf. 16 Jahre lang wurde in seinem Kolosseum die Nacht zum Tag gemacht. 2006 ging er offiziell in Rente. Mit dem Plattenauflegen hat DJ Steppenwolf aber nie aufgehört.
Seine Freunde und Fans trauern um ihn. „Wieder ist ein Kitzinger Unikat verloren gegangen“, sagte ein guter Freund des DJs. Im Internet schreibt ein User: „Mach's gut, Ersatz-Opa! Ich werde dich immer im Herzen tragen.“ Die Urne des Verstorbenen wird am Freitag, 22. August, um 14.15 Uhr im Neuen Friedhof in Kitzingen beigesetzt.
Insgesamt waren 10540 Besucher hier |
Über diese Page |